Für den diesjährigen “StrongmanRun” hatte ich eine Wildcard. Doch aus diversen Gründen konnte ich nicht teilnehmen und verschenkte daher die Wildcard bei einem Gewinnspiel. Das Losglück fiel dabei auf Anja, die somit vergangenen Samstag in der “Grünen Hölle” an den Start durfte. Ob sie dieser Aufgabe gewachsen war? Ihr ausführlicher Bericht lässt da keine Zweifel offen.
— Anjas Bericht —
Hätte ich mir im letzten Jahr träumen lassen was ich am vergangenen Samstag erlebt habe, hätte ich es niemals für möglich gehalten. Nein, ich hätte wahrscheinlich sämtliche Menschen für bekloppt erklärt, die sowas sogar noch freiwillig machen.
Nun ist es soweit: ich bin eine von ihnen – eine Bekloppte oder auch schöner umschrieben: eine Strongwoman 2012 und mächtig stolz drauf!
Doch eines nach dem anderen..
Als ich letztes Jahr im Mai zufällig am Nürburgring war konnte ich live miterleben, wie tausende Strongfrauen- und Männer das größte Abenteuer des Jahres erlebten. Ich erinnere mich noch sehr genau daran, dass ich ganz fasziniert von den ganzen Schlammwütigen und deren Überresten war. Auf dem Weg zum Auto beschloss ich damals: Das machst du nächstes Jahr auch!
Ein kleine Portion Glück und ich gewann in der Verlosung die Wildcard von Christian Brenner. Ein Tag zuvor hatte ich die Zusage für meinen Traumjob bekommen und konnte somit mein Glück kaum fassen. Aber hatte ich da wirklich auch nur den Hauch einer Ahnung, was da auf mich zukam? Oh nein….
Ich bin eine 29-jährige Düsseldorferin und Läuferin seit nun vier Jahren. 2009 lief ich meinen ersten Marathon, eine Woche vor dem Strongman meinen achten – und genau da fängt meine Geschichte an.
Der 29.04 sollte mein Tag werden, der Tag an dem ich endlich die SUB4 in einem Marathon knacke, mein dritter Versuch in Düsseldorf. Doch der Tag sollte anders werden als geplant. Auch wenn die Toten Hosen gerne singen, er soll unendlich sein – dieser Tag war einfach nur schwarz. Nach 28 Kilometern begleitet von starken Magenkrämpfen und Erbrechen musste ich den Lauf beenden. Eine Premiere für mich.
Ich bin keine besonders gute Läuferin, aber eine besonders leidenschaftliche. Ich leide wirklich und besiege jedes Mal ein bisschen mehr meinen Schweinehund…und dieser kann riesig sein. Das Laufen hat mich gelernt stark zu sein, am Ball zu bleiben und an mich selbst zu glauben – vor allen Dingen in Momenten, wenn andere damit aufgehört haben.
Wie sollte ich also nun diese Schmach verdauen? Tränen helfen da nur kurze Zeit, also rief ich mir erneut den Strongman ins Gedächtnis und legte den Marathon als langen Tempolauf zu den Akten. Eine neue Herausforderung stand bevor und wenn ich ehrlich, bin habe ich den Strongmanrun mehr als nur unterschätzt. Laufen ist ja schön und gut, aber der Strongman ist eine ganz andere Geschichte.
Eine Grenzerfahrung mit Wiederholungsgefahr
Um meinen Weg am Samstag nicht alleine bestreiten zu müssen, hatte sich mein Freund Rico ebenfalls zum Strongmanrun angemeldet und überraschte mich zwei Tage zuvor damit. Die Freude war riesig. Irgendwie hatte ich da schon eine kleine Ahnung, dass das kein lockerer Waldspaziergang wird…
Im Gepäck mit Robert, meinem besten Freund und Rico, machten wir uns morgens um 8 Uhr auf dem Weg zum Nürburgring. Die Aufregung war schon deutlich zu spüren. Ich hatte mir bewusst nicht allzu viel darüber im Vorfeld durchgelesen, damit ich alles auf mich zukommen lassen konnte. Im Nachhinein betrachtet würde ich dies als keine allzu clevere Taktik bewerten, denn meine eigentliche Vorbereitung (wenn man diese denn dazuzählen könnte) bestand aus Lauftraining, Liegestützen und zwei Bootcamp-Trainings bei einer Truppe, die sich ebenfalls auf den SMR vorbereiteten.
Dort angekommen ergatterten wir direkt einen Parkplatz, zehn Minuten Fußweg entfernt vom Startbereich. Von da an ging es zuerst zum Infopoint, um meine Startunterlagen abzuholen. Hier sei zu erwähnen, dass ich bis zuletzt auf halbwegs gutes Wetter gehofft hatte – zumindest eine zweistellige Zahl hätte mich ein klein wenig aufgemuntert. Aber nein, die Eifel erfüllte mir natürlich nicht diesen bescheidenen Wunsch. Stattdessen zeigte sich die grüne Hölle von ihrer schönsten Seite – wenn man denn was vor lauter Nebel hätte sehen können. 7 Grad sollten es sein und Regen war für die kommenden Stunden neben Rico mein treuester Weggefährte. Aber warum war ich nochmal hier? Ach ja: ich wollte Strongwoman werden! Also Anja, sei keine Pussy und raus in das kühle Nass.
In der Halle angekommen, holte ich meine Startnummer ab. Da war sie: die Startnummer 11465 mit meinem Namen. Irgendwie viel cooler als die üblichen Startnummern bei den sonstigen Volksläufen.
Von den Teilnehmern mal ganz zu Schweigen…Super Mario, Borat, das komplette A-Team und Konsorten – alle waren am Start. Ich hatte gehört, dass auch Oliver Pocher antreten wird und habe das bis zum Ende bezweifelt – zu Unrecht. Absolut mediengeil präsentierte er sich ein wenig später auf dem VIP-Balkon und gewährte uns einen Blick auf seinen mehr oder weniger gestählten Körper. Die meisten Teilnehmer interessierte das herzlich wenig und so erhielt er recht deutliche, weniger anerkennende Zurufe.
Der Start wurde aufgrund des Nebels um eine halbe Stunde nach hinten verschoben, was aber mit Sicherheit den Läufern, die ihre Klamottensäcke noch abgeben mussten zugute kam. Zum Glück hatten wir uns angesichts der ellenlangen Schlangen dafür entschieden die Sachen im Auto zu deponieren. Später stellte sich heraus, dass viele Säcke sich selbst überlassen wurden, weil offensichtlich die Orga keinen Bock mehr auf das Warten der Abholer hatte. Zudem sollen der Großteil der Klamotten nass gewesen sein. Memo an alle Teilnehmer fürs nächste Jahr: bringt eure Sachen einfach ins Auto. Da kommen sie zumindest nicht so schnell weg und werden nicht nass.
Als der Startschuss fiel, war rings um mich eine unglaubliche Atmosphäre. Adrenalin ohne Ende und es war nicht zu übersehen, dass alle wahnsinnig heiss auf das waren, was auf uns zukommen sollte. Nach ca. 8 Minuten passierte ich die Zeitmatten und war total überwältigt von den Massen die ich auf der Strecke sehen konnte. Wann hat man schon mal die Gelegenheit auf einer Strecke zu laufen, auf der sonst Vettel und Konsorten ihre Runden drehen? Gänsehaut-Feeling…
Nach etwa zwei Kilometer kam der erste Kiesparcours, easy peasy dachte ich da noch…ein paar Treppen, dann abwärts und schon kam ich zur ersten Trinkstation. Jetzt schon? Doch was sah ich? Eine riesige Läufertraube hatte sich schon vor einem kleinen Tor versammelt, durch das es offensichtlich noch nicht so schnell weiterging. Die Getränkeausschenker versuchten die Meute bei Laune zu halten, indem ständig mit PowerBar-Riegeln durch die Gegend geschmissen wurde. Wir wollten aber weiter…los, zum ersten Hindernis!
Insgesamt betrug die Wartezeit bis zum ersten Hindernis in etwa eine halbe Stunde. Ich sah trotzdem schon nett aus, denn Schlamm gab es bis dahin schon reichlich auf der Strecke. Etwas zaghaft war ich zu Beginn, ängstlich mich doch mal gehörig auf die Nase zu legen. Rico riet mir einfach drauflos zu laufen, das sei die beste Vorgehensweise. Und tadaaa, er hatte Recht. Angst sollte man beim SMR besser nicht haben – Vorsicht ist jedoch nicht verkehrt.
Das erste Hindernis „Schwimmalaya“ war von der Beschreibung her im Nachhinein halb so wild. Strohballen hoch, ins knöchelhohe Wasser runter, das Ganze nochmal und anschliessend an einem Seil nach oben ziehen. Fertig aus!
Das zweite Hindernis „Barbecue“ war mehr oder weniger unangenehm und hätte man sich auch sparen können, da man nur durch einen 10 m langen Gang laufen musste während von der Seite Rauch kam. Kein Drama. Einfach Nase zuhalten und weiter geht’s.
Von da an ging es eine ganze Weile auf und ab auf noch schönem grünen Rasenboden. Hier fing es schon an ein wenig rutschig zu werden, schließlich waren da schon eine Menge Läufer schlammbeladen darüber gelaufen. Richtig nett wurde es aber erst in der zweiten Runde.
Das dritte Hindernis mit dem Namen „Wall Street“ wartete auf uns: eine 2,5 m hohe Holzwand, die man erklimmen musste um dann über Strohballen wieder den Boden zu erreichen. Auch hier stellte das eigentliche Hindernis keine große Herausforderung dar, aber wenn man die Gesamtstrecke betrachtet raubt jedes Hindernis eine Menge Kraft, ganz zu schweigen von den ständigen Auf- und Abstiegen.
Weil es so schön war ging es weiterhin wieder mal bergauf um dann schlammabwärts über Wiesen und Felder zum nächsten Hindernis zu gelangen: die „schwarze Witwe“.
Hier standen wir sicherlich 25 Minuten, ohne wirkliche Bewegung in Sicht bis wir von Ordnern an dem Hindernis vorbeigelotst wurden. Hier sei gesagt, dass ich wahrlich keine Pussy bin, die sich einfach aus Lustlosigkeit vorbeischummelt. Ich wollte das Rennen von Anfang bis Ende komplett durchstehen. An diesem Hindernis war eine unglaublich große Schlange und wir hätten den Nebenweg auch nicht genutzt wenn nicht sicherlich die Hälfte aller SMR den Befehlen der Ordner Folge geleistet hätten. Somit an dieser Stelle kein Bericht darüber, aber es gab ja noch eine zweite Runde…
Weiter ging es von da an gefühlt eine Ewigkeit bergauf. Der Anstieg zum Wadenkiller hat seinem Namen definitiv alle Ehre gemacht. Er zog sich wie Kaugummi und viele mussten nach einer Weile schon gehen. Damit das nicht alles war kam am Gipfel des Berges das Hindernis fünf: der „Wadenkiller“. Unter anderen Umständen vielleicht milde belächelt, nach dem Anstieg aber ein wahrer Waden“freund“ bestehend aus drei Strohballen, die man abermals besteigen musste.
Zum Glück weiss jedes Kind: wo es bergauf geht, muss es auch wieder bergab gehen! Der Abstieg kam! Yeah! Mein Körper fing an sich wieder langsam zu entspannen. Ich hörte, dass das nächste Hindernis die „Niagara Fall“ werden sollte. Rutschen – wer macht das nicht gerne? Am Hindernis angekommen wurde es aus Sicherheitsgründen gesperrt. Viele enttäuschte Gesichter um mich herum – ich hatte mich doch so darauf gefreut!
Kein Trübsal blasen – dafür habe ich keine Zeit also weiter gehts zum nächsten Hindernis. Aber hoppala, das ist ja gar kein Hindernis! Das ist ein ganz „normaler“ Weg! Ich nenne ihn an dieser Stelle liebevoll den „Ameisenberg“ – der Wahnsinn! Auf allen Vieren kriechen wir zu Hunderten diesen versch…… Berg hoch, immer nah dran auszurutschen und die komplette Menschenmenge dabei mitzunehmen. Kein Tritt ist wirklich sicher und sämtliche Vegetation ist mit diesem Tag dort ausgestorben – mit absoluter Sicherheit…ich habe persönlich dafür gesorgt indem ich alle Wurzeln, die sich mir boten als Haltegriff missbraucht habe.
Oben angekommen geht es durch einen kleinen Kiesberg zu Hindernis sieben: „Heu-Ruck“. Im Nachhinein kann ich der Beschreibung vom Veranstalter Recht geben. Ohne Hilfe ist das Erklimmen der drei Meter hohen Heuballen unmöglich. Da hier wieder 20 Minuten Anstehzeit ist kann ich mir das Ganze lange genug anschauen um mir zu überlegen wie ich am besten drüber komme. Später erklimme ich mit Hilfe einer Räuberleiter durch Rico das Hindernis. Aber jetzt muss ich auch wieder runterspringen…aaaaah, geschafft, mann mann mann, bin ich froh, dass das vorbei ist. Vorbei? Da war es wieder – ein zweites Hindernis, das dem zuvor keineswegs nachstand. Also gut, das selbe nochmal, nun hatte ich ja schon Übung darin. Anstrengend ist das – alter Schwede!
Weiter geht es ein wenig joggend zum nächsten Punkt. Endlich kann ich mal das tun, was ich eigentlich ganz gut kann: Laufen. Aber warum zum Geier fühlt es sich nicht mehr so locker leicht an wie zu Beginn?
Ehe ich mich versehe befinde ich mich vor dem „Panikpool“. Und ja, er hat diesen Namen mehr als verdient – zumindest wenn es nach mir geht. Ich will keine Pussy sein, also springe ich rein, fange an zu schwimmen. In der Vergangenheit habe ich schon mal den Begriff Kälteschock gehört, konnte ihn aber nie wirklich einordnen, zwecks mangelnder Erfahrung. Das sollte sich ändern. Ich merke wie mich langsam meine Kräfte verlassen, ich nicht mehr schwimmen kann und drohe unterzugehen. Irgendwie schaffe ich es Leuten hinter mir zu sagen, dass sie mich bitte rausziehen sollen. Zum Glück helfen sie mir, denn mehr kann ich jetzt auch nicht mehr sagen – wow, ein herzliches Hallo an die Grenzerfahrung! Ich schleiche mich zur Pussy-Lane und bin froh, als ich Rico wiedersehe. Da er sehr groß ist konnte er in dem Wasser stehen, hat aber ähnliche Erfahrungen gemacht. Hut ab vor allen, die durchschwimmen, aber ich bin in diesem Moment erst einmal fertig mit meiner kleinen Anja-Welt. Memo an mich: öfter kalt duschen – ach was, überhaupt mal kalt duschen!
Ich sammele mich wieder und steuere auf das nächste Hindernis zu: die „Hängelücke“. Sieht ein bisschen aus wie auf dem Kinderspielplatz, nachdem man über mein „Lieblingsmaterial“ Strohballen klettert verschafft man sich den Weg auf die andere Seite mittels Überquerung einer Seilhängebrücke. Sieht nicht schwer aus, erfordert aber eine Menge Geschicklichkeit. Offenbar reicht dies bei mir noch aus, ich komme auf die andere Seite und erfreue mich meines nächsten Hindernisses, der „Zitterpartie“.
Zuvor werde ich von „hochmotivierten“ Orgadamen gefragt ob ich einen Herzschrittmacher habe. Gut, wenns so weitergeht, brauche ich bald einen…aber seh ich wirklich schon so geschafft aus, dass sie ausgerechnet mich fragen? Nicht darüber nachdenken – lieber die 12 Volt-Kabel umgehen. Ich komme doch an eines und welch Wunder? Sie sind nicht geladen – also entweder bin ich zu diesem Zeitpunkt schon so strong und tough, dass ich das nicht mal mehr merke oder die Dinger haben nichts drauf – ich vermute letzteres.
Der „Kniekiller“ soll für so manche eines der schlimmsten Hindernisse gewesen sein. Blutige Knie, zerfetzte Hosen…endlich habe ich durch meine kleine Größe auch mal einen Vorteil. Ich robbe mich durch den Kies und komme kein einziges Mal an den Boden. Soweit schon mal gar nicht schlecht. Weniger geil ist, dass ich anschließend einen tierischen Muskelkater in den Oberschenkeln habe, weil diese durch-den-Kies-robben-Art nicht gerade die entspannendste war…aber ja, ich weiß, ich bin nicht zum Jammern hier..
Die „Tauchstation“ erwartet mich als nächstes. Ich sehe Wasser und fühle mich an das Panikbecken erinnert – Schluck…es kommt aber besser, das Wasser geht mir lediglich bis zum Bauch und fühlt sich bei weitem nicht mehr so kalt an, wie das Wasser zuvor. Im Becken sind Querbalken aufgestellt, unter denen man durchschwimmen kann. Ich habe keinen einzigen gesehen, der das gemacht hat, denn es hat vollkommen ausgereicht den Kopf unter dem Balken durchzubeugen.
Raus aus dem Wasser, rein ins „Schlammassel“, dem 13. Hindernis. Eine helle Freude für die mitgenommenen Schuhe, kaum „sauber“, jetzt schon wieder schlammig – ich finde das super, sooooo viel Matsch. Dafür zahlen andere Leute ein Riesenvermögen und wir haben es hier in solchen Massen. Man sollte auch mal dankbar sein ;).
„The Pyramides of Pain“ beglücken mich erneut mit Strohballen. So langsam habe ich es drauf. Strohballen hochspringen, noch einmal, dann zwei mal wieder runter. Eigentlich gar nicht so schwer, wenn die Beine nur nicht so langsam müde wären..
Das letzte Hindernis in Runde eins heisst „Final Destination“. Ging es in dem Film nicht um Todesfälle? Whuuu, nicht daran denken. Es erwartet mich eine Mischung aus einem Berg von Autoreifen, kunstvoll platziert, so dass man garantierte Fusseinklemmgefahr hat, anschließend ein Kletternetz, Strohballen, und wieder Autoreifen. Ein Traum mehrerer Elemente…so beende ich meine erste Runde und kann es nicht glauben, dass ich gleich das selbe noch einmal absolviere. Es gibt kein Zurück mehr. Ich schaffe das…
Auf dem Weg kommen uns einige Läufer entgegen, die sich da offensichtlich nicht so sicher sind…aber wer den Titel tragen will muss auch durchhalten und kämpfen. Gekämpft habe ich am Ende des Tages…
Runde zwei – der Kampf gegen mich
Ich genieße die Joggingstrecke über der Rennbahn, denn was neben den Hindernissen am schwersten fällt ist eigentlich das was ich meinte am besten zu können – Laufen. Naiv, wie ich war dachte ich tatsächlich damit sogar noch Zeit rauszuholen…ein wahrer Trugschluss!
Von einer gewöhnlichen Joggingstrecke kann hier nicht die Rede sein. Es ist vielmehr, ein Auf und Ab von Bergen, Hügeln, Gruben, ja und auch somit ein Auf und Ab von Gefühlen. Ich beginne zu zweifeln ob ich es bis zum Ende schaffe – meine Kräfte schwinden langsam und auch die Luft ist längst nicht mehr in der selben Menge vorhanden wie zu Beginn. Motivation – wo hast du dich versteckt? Zeig dich, du Sau!
Aber sie hört mich nicht. Zum Glück bin ich nicht alleine und Rico und ich versprechen uns das bis zum bitteren Ende gemeinsam durchzuziehen. Auf dem Weg zum ersten Hindernis kommen wir erneut an das kleine Tor, an dem es sich in der ersten Runde wahnsinnig gestaut hatte. Durch das Entzerren des Läuferfeldes können wir nun problemlos und ohne lästiges Warten durchkommen.
Die Strecke hat sich jedoch ein klitzeklein wenig verändert – die Struktur ist nun nicht nur matschig sondern eine ganze Matschbrühe, die problemlos eine ganze Ferkelherde als Erlebnispark dienen könnte. So ähnlich sehe ich nun auch aus. Matsch wohin das Auge reicht, an den Haaren, im Gesicht, wahrscheinlich überall wo ich es mir nur denken kann.
Herrlich – und das alles for free! Ein Traum!
Kurz vor dem ersten Hindernis mache ich Bekanntschaft mit dem unbändigen Teamgeist, den in der zweiten Runde wohl alle Teilnehmer zu haben scheinen. Spontan bilden wir eine Kette und haken uns beim jeweils nächsten unter um gemeinsam durch den Schlamm zu rutschen anstatt alleine den Boden zu küssen. Warum klappt sowas nicht auch in anderen Bereichen des Lebens, wo eher die Ellenbogen regieren? Jetzt nur nicht nachdenklich werden Anja – zu viel Denken ist hier völlig fehl am Platz.
„Schwimmalaya“ hat wohl etwas Wasser lassen müssen, zumindest findet sich nichts mehr davon im kleinen Becken zwischen den Heuballen wieder. Mir soll es recht sein, Wasser und ich werden heute wohl keine Freunde mehr, es sei denn es ist warm und kommt aus der Dusche.
An den Seilen den Berg hoch erklimmend sehe ich schon den Rauch am Hindernis „Barbecue“. Einmal kurz Luft anhalten und schnell durchlaufen. Im Nachhinein betrachtet sehen die Fotos, die kurz nach dem Rauslaufen der Teilnehmer geschossen wurden ziemlich spektakulär aus, überall Rauch und Menschen, die sich offensichtlich gerade noch so raus schleppen. In Wahrheit war das Ganze aber nicht der Rede wert, aber cool sah es trotzdem aus.
Weiter geht es Berg hoch und runter zum nächsten Hindernis: „Wall Street“. Was nun deutlich schwerer fällt als in der ersten Runde ist das einfach Runter- und Hochlaufen der Wiesen – machen wir uns nichts vor! Nach 22000 Füssen gibt es hier nichts mehr was noch an eine Wiese erinnert – von einem satten Grün ganz zu schweigen. Matsch und permanente Rutschgefahr bestimmen unseren weiteren Weg und verlangen uns so einiges an Kraft ab.
Nach einer gefühlten Ewigkeit kommen wir an das vierte Hindernis, welches wir beim ersten Mal umrunden mussten. Dieses Mal ist nur eine verhältnismäßig kleine Schlange zu sehen, so dass wir die 20 Minuten Wartezeit in Kauf nehmen. Die Nase läuft und ich habe keinen freien Fleck Stoff mehr an dem ich mir irgendwie den Angstrotz wegwischen könnte. Es ist also soweit: Mein Freund bringt mir das Fussballer-in-der-Gegend-rotzen bei. Nein, das ist nicht damenhaft und auch schön ist wahrscheinlich anders. Aber eine fast-Strongwoman muss tun was sie tun muss. Ich fühle mich erleichtert. Jetzt kann es weitergehen.
Da ist sie also: „Die schwarze Witwe“. Der Name an sich ist schon irgendwie nicht nett – das Hindernis auch nicht! Rein ins „Vergnügen“. Ein Gitternetz aus Bauzäunen stellt über unseren Köpfen sicher, dass wir nicht ausbüchsen und schön brav durch den immer größer werdenden Schlamm robben. Auf allen vieren krieche ich also durch den Schlamm, der stets zuzunehmen scheint. Fast am Ende angekommen kann ich meine Füsse kaum noch aus dem Schlamm befreien und bekomme Wadenkrämpfe, die nicht aufhören wollen. Rico ruft die Sanitäter. Hinter mir fangen die Buh-Rufe an. Nachdem aber klar wird, dass ich die Krämpfe nicht in den Griff bekomme wird geholfen und ich werde aus dem Schlamm rausgezogen. Ich muss mich dehnen und nach einiger Zeit geht es mir besser, so dass wir unseren Weg weiter aufnehmen können. Willkommen zweite Grenzerfahrung!
Ich gehe davon aus, dass die Krämpfe dadurch bedingt waren, dass wir immer wieder durchnässt vor Hindernissen warten mussten. Die Muskulatur kühlt also aus und schon entsteht ein Krampf. Kein besonders schönes Gefühl. Doch genug gejammert, weiter ging es durch altbewährtes, hügeliges Matsch-Terrain zum kommenden Hindernis.
Der „Wadenkiller“- Berg mit 100 Höhenmetern raubt mir dabei meine ohnehin schon fast verbrauchte Kraft. Kaum einer joggt diesen Hügel noch hoch. Es tut einfach so schon alles weh. Zwischendurch machen wir Platz für einen Krankenwagen. Bei diesem Anblick wird mir immer ein bisschen flau im Magen, weil das automatisch heisst, dass irgendjemandem etwas passiert sein musste. Besser keine negativen Gedanken zulassen und weitermachen.
Zwischendurch fragt Rico immer wieder nach ob es mir gut geht und ob wir das noch packen. Was soll man dazu sagen? Welche Wahl hat man? Klar, ich könnte jetzt einfach aussteigen und sagen: Leute, war ein schöner Tag, machts gut, ciao! Aber dann steh ich mitten in Timbuktu, weit weg von Auto, Zuhause, Dusche, allem….und noch weiter weg von Stolz, Ehre und all den Sachen worum es hier eigentlich geht.
Wie war das also nochmal bei Rocky? There`s no easy way out!
Angekommen bei der Wasserrutsche müssen wir erneut feststellen, dass diese nicht mehr betriebsbereit ist, was ich sehr sehr schade finde. Dies war das einzige Hindernis, welches wir aufgrund von Ordnerentscheidungen nicht nutzen konnten. Zumindest lassen wir unten unsere Füsse im Wasser baumeln um somit endlich mal die 10-kg-Matsch-Schuhe zu erleichtern. Ich fühle mich als hätte ich gerade 20 kg Klotz an den Beinen weniger…ist das nicht fein?
Noch einmal kurz über einen Kiesberg und schon sehe ich meinen „Ameisenberg“ – vegetationsfrei, trostlos und mit abermals Hunderten von Läufern, die ihn bezwingen wollen. Dieses Mal geht es schneller und einfacher. Offenbar lassen die Kräfte bei so einigen nach, so dass keiner mehr drängelt sondern eine gewisse Gemütlichkeit Einzug bekommt – vielleicht ist es aber auch die Erschöpfung und das Wissen der noch bevorstehenden Hindernisse, die uns die Schritte bedachter machen lässt.
Von weitem sehe ich schon das Hindernis „Heu-Ruck“. Eine erneute Warteschlange und müde, abgeschaffte Gesichter um mich herum. Ich weiß, dass ich nach diesem Hindernis den Rest schaffe. Es ist als wäre ich bei km 35 im Marathon, bei dem mir mein Kopf zuflüstert: es ist bald soweit, noch ein bisschen die Zähne zusammenbeissen. Drei Meter hohe Strohballen sind also sinnbildlich meine 35 Kilometer und so fühlen sie sich auch an.
Ich werde von kräftigen Herren hochgezogen und glaube, dass mein rechter Arm, an dem ich irgendwie jedes Mal aufs Neue hoch- oder runtergezogen werde, an diesem Tag um sicherlich zehn Zentimeter länger geworden ist. Ich werde mal nachmessen…
Nach dem Bezwingen dieses Hindernisses kommen wir zu Grenzerfahrung Nummer eins – dem „Panikpool“. Nennt mich Pussy, Uschi oder Schantalle, aber ich konnte nicht mehr durchschwimmen und bin rechts zur Pussy-Lane abgebogen. Angesichts der Temperaturen und der in Runde eins gemachten Erfahrung hatte ich nicht mehr den Mut reinzuspringen. So, jetzt ist es raus. Verachtet mich aber ich stehe dazu!
Weiter ging es zu den Stromfäden, die abermals keinerlei Strom hatten. Was war da los, liebe Orga? War der Strom leer? ;-) Auf einem Foto habe ich später einen Läufer gesehen, der sich das so ungemein gefährliche Stromseil auf die Zunge gelegt hat. Als Hobby-Sherly-Holmes schließe ich daraus eine Strominaktivität.
Was meint der Experte dazu?
Der „Kniekiller“ hat wieder alles an Oberschenkelmuskulatur abverlangt. Dank meiner vor drei Monaten erlernten Liegestützen, nein – keine Damenliegestützen, war dieses Hindernis wieder einigermaßen in Ordnung. Das sahen wohl nicht alle Strongman so, denn mitten im Parcours lag ein etwas „muskulöserer“ Herr (ich nenne ihn an dieser Stelle mal Manni), der offensichtlich nicht mehr das Ende des Tunnels sah. Mit vereinten Kräften haben wir ihn zum Kiesrobben animiert, so dass Manni völlig entkräftet aber dankbar für die Unterstützung wieder Licht sehen konnte.
Bei der „Tauchstation“ angekommen habe ich mich wieder über ein wenig Abkühlung gefreut also springe ich in das kühle Nass. Immerhin sind nun meine Schuhe wieder einigermaßen entschlammt. Ein BVB-Fan neben mir fragt mich ob man hier nicht durchschwimmen könnte. Also ich will hier niemanden aufhalten. Wenn er das tun muss, dann muss er das tun. Er ist sich doch ein wenig unsicher und bleibt beim Durchlaufen so wie der Rest von uns.
Und weil es so schön ist, dass meine Schuhe und ich ein wenig sauberer geworden sind gibt es beim nächsten Hindernis gleich eine neue Portion Schlamm. Nicht, dass man sich im Nachhinein noch beim Veranstalter beschweren muss, weil zu wenig Matsch geboten wurde. Das will ja keiner!
Noch einmal über die „Pyramides of Pain“ um das Stroh nicht aus dem Augen zu verlieren. Hier erfahren wir, dass die Bundeligaspielergebnisse gerade durchgesagt wurden. Ist das jetzt euer Ernst? Haben wir es tatsächlich schon kurz nach 17:15? Ich habe jegliches Gefühl für Zeit verloren. Bis auf die Zwischenzeiten bei Wartestellen vor Hindernissen, die mal der ein oder andere durchgerufen hat, konnte ich überhaupt nicht einschätzen wie lange wir schon unterwegs waren. Offensichtlich lange – sehr sehr lange! Normalerweise brauche ich nicht mal für einen Marathon so lange und hier hatte ich die Hälfte der Strecke an Kilometern zu bewältigen!
„Final Destination“ ist auch meine „Destination“ zum Ziel. Ich klettere zum letzten Mal über Autoreifen und kann es nicht glauben, dass das Abenteuer nun ein Ende hat.
Hand in Hand mit Rico laufe ich durch das Ziel. Das Gefühl dabei ist unbeschreiblich. Ganz anders als ich es bisher bei Läufen erlebt habe. Mein Körper wird kribbelig und ich bin glücklich und erschöpft zugleich. An heute werde ich noch eine ganze Weile denken – dieser Tag hat mich geprägt.
Drei Tage später…
Ich bin immer noch geflasht von Samstag. Es hat nicht aufgehört. Zwischen Rico und mir dominiert immer noch ein Thema: der SMR!
Sonntag war die Hölle. Jeder erdenkliche Muskel hat weh getan. Das einfache Sitzen hat schon geschmerzt. Aber wie heisst es so schön: Schmerz vergeht, doch der Stolz bleibt!
Genau so ist es! Wir planen bereits unsere nächsten Hindernisläufe und beim SMR 2013 bin ich definitiv wieder am Start. Dann aber mit einer besseren Vorbereitung und schönen Kalt-Duschen vorher.
Dieser Lauf hat mir gezeigt wozu der menschliche Körper fähig ist – nämlich zu weitaus mehr, als man vielleicht meint. Wir neigen oftmals dazu uns in unserer Komfortzone zu bewegen, denn die ist bereits bekannt. Darin kann nichts „schiefgehen“, wir gehen somit keine Risiken ein. Aber der Mensch braucht mehr!
Es ist toll an seine Grenzen zu gehen und darüber hinaus. Mir hat es gezeigt wieviel mehr in mir steckt und das war wahrscheinlich bei weitem noch nicht alles. Also liebe SMR-Neulinge: Probiert es aus, es wird eine unglaubliche Erfahrung! Achja, ein wenig Training wäre vorher nicht verkehrt!
In diesem Sinne: Bis zum nächsten Jahr!
Strongwoman Anja 2012
— / Anjas Bericht —
Noch Fragen? Der Bericht ist einfach der Hammer! Und Anja hat bewiesen, dass sie eine wahre StrongWoman ist. Glückwunsch nochmal hierzu und auch vielen Dank für diesen ausführlichen Bericht (inklusive Bilder). Die Wildcard war bei Dir sehr gut aufgehoben! :D
Hallo und danke für den ausführlichen Bericht, ist sehr gut beschrieben. LG
Zu allererst einmal herzlichen Glückwunsch zum Gewinn der Wildcard und wie man(n) hier lesen kann, hattest du jede Menge Spaß!
Ich überlege auf Grund deines tollen Berichts ob ich vielleicht nächstes Jahr mitmachen soll, um mal meine Komfortzone zu verlassen!
Tolle Inspiration echt! Und danke für deinen wirklich toll nachzuempfindende Bericht!
erholsames Wochenende
Matthias
Hallo!
Vielen Dank für den super Bericht, da kriegt man echt Lust!
Allerdings wenn ich lese, dass man 20 Minuten warten muss an den Hindrnissen :shock: Ist halt ne echte Massenveranstaltung ;-)
Super Bilder! Gruß Rolf
weiter so!!! ;-)
Herzlichen Glückwunsch zum Finish und v. a. für das Durchhaltevermögen :-)
super Artikel, Sport ist wichtig und gesund ;)